Dry Aging ist eines der ältesten Reifungs- und Konservierungsverfahren für Fleisch der Menschheit. Bereits vor hunderten von Jahren ließen die Metzger ihr Fleisch in kühlen Kellern und später in speziellen Kühlräumen an der Luft trocknen und reifen. Dieses Verfahren wurde bei den Metzger früher ganz einfach „Abhängen“ genannt. Dabei beschreibt das „Abhängen“ so ziemlich genau das, was man mit dem Fleisch tat: Man ließ Rinderhälften oder Rinderviertel bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt mehrere Wochen lang an starken, eisernen Haken von der Decke hängen, bis das Fleisch zart und mürbe und damit verzehrfähig war.
Nichts anderes ist Dry Aging: Man lässt große Fleischstücke am Knochen so lange bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und bei hoher Luftfeuchtigkeit an der Luft reifen, bis es zart und mürbe ist und unnachahmlichen Geschmack und Aroma bildet.
Doch was passiert beim Dry Aging eigentlich?
Jedes Fleisch muss reifen. Das ist unabhängig von der Art des Tieres und von der Reifungsmethode. Ungereiftes Fleisch ist zäh, hart und hat eine schlechte Wasserbindungsfähigkeit. Mit einem Wort: ungenießbar.
Wenn das Tier bei der Schlachtung getötet wird, wird die Blutzirkulation und damit sowohl die Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen als auch der Abtransport von Stoffwechselendprodukten für den Muskel schlagartig unterbunden. Dennoch laufen in den Muskeln des Tieres auch einige Zeit nach seinem Tod weiterhin biochemische Vorgänge ab, die jenen im lebenden Organismus ähnlich sind, jedoch sind diese von anaerober Natur, finden also ohne Sauerstoff ab.
Früher fanden auf den Bauernhöfen noch Hofschlachtungen statt und jeder Metzger schlachtete noch selbst. Es war daher üblich, das Fleisch der geschlachteten Schweine direkt nach dem Zerlegen, also noch warm, zu Wurst zu verarbeiten. Dies geschah unmittelbar nach dem Töten des Tieres.
Unmittelbar nach der Schlachtung sind die Muskeln des Tieres weich, klebrig und schlaff. Dieses sogenannte „Warmfleisch“ ist geschmacklich sehr intensiv. Schlachtwarmes Fleisch, das nur 1-2 Stunden alt war, wurde in früheren Zeit sehr häufig zu Wurst verarbeitet, da es sich leicht bearbeiten ließ.
Heute gibt es kaum noch Hausschlachtungen und kaum noch ein Metzger schlachtet selbst. Daher ist eine Verarbeitung von schlachtwarmem Fleisch nicht mehr möglich. Das Fleisch wird im Kühlwagen angeliefert, was das Verarbeiten von schlachtwarmem Fleisch unmöglich macht. Wurst nach der Warmfleisch-Technologie ist eine Nische geworden, die nur noch wenige Öko- und Bio-Metzger ausfüllen. Lediglich wenige traditionell hergestellte Wurstsorten wie der Eichsfelder Feldgieker werden heute noch mit Warmfleisch hergestellt.
Zwei Phasen der Fleischreifung
Phase 1 der Fleischreifung
Wenige Stunden nach der Schlachtung des Tieres werden die Muskeln zunehmend hart und fest. Diesen Zustand nennt man Totenstarre. Der Grund dafür ist, dass die Enzymtätigkeit und der Zuckerstoffwechsel auch nach dem Tod des Tieres noch eine ganze Zeit lang weiter laufen. Da dies jetzt ohne Sauerstoff stattfindet spricht man vom anaeroben Stoffwechsel. Dadurch ziehen sich die Muskeln sehr stark zusammen, der pH-Wert sinkt stark, das Fleisch wird zäh und hat eine minimale Wasserbindungsfähigkeit. Würde man das Fleisch jetzt braten wäre es strohtrocken und zäh, kurzum: Es ist ungenießbar.
Die Dauer bis zum Eintritt der Totenstarre ist dabei von Tier zu Tier unterschiedlich: Beim Rind setzt sie innerhalb von 10–24 Stunden, beim Schwein in 4–18 Stunden und beim Huhn in 2–4 Stunden ein.
Mit der Zeit wird jedoch das natürlich in der Muskulatur vorhandene Glykogen (Vielfachzucker) allmählich zu Lactat (Salz der Milchsäure) abgebaut. Bei diesem Prozess entsteht ATP (Adenosintriphosphat). Dieses ATP sorgt dafür, dass die Muskelkontraktion nachlässt und das Fleisch langsam wieder weicher wird. Gleichzeitig sorgt das Lactat dafür, dass der pH-Wert im Fleisch von über 7 (basisch) auf etwa 5,8 (sauer) absinkt.
Phase 2 der Fleischreifung
Die Absenkung des pH-Wertes setzt eiweißspaltende Enzyme (Proteasen) wie Cathepsine und Calpaine frei. Diese bewirken eine Auflösung der Muskelfaserstrukturen, dadurch wird das Fleisch zunehmend zarter. Während dieses Prozesses werden Aminosäuren frei. Sie sind wichtig für die Aromabildung im Fleisch. Außerdem nimmt das Wasserbindevermögen im Fleisch wieder zu; es wird wieder saftiger.
Je nach Tier dauert die Reifung bis zum genussfertigen Stück Fleisch unterschiedlich lange: Bei Geflügel beträgt sie üblicherweise bis zu drei Tage, bei Schweinefleisch und bei Kalbfleisch bis zu einer Woche, bei Lamm mindestens eine Woche und mehr, bei Hammel bis zu drei Monaten und bei Wild und Rindfleisch eineinhalb bis drei Wochen.
Danach ist die Fleischreifung im Prinzip abgeschlossen und das Fleisch kann zubereitet werden. Die Zartheit des Fleisches hat das Maximum erreicht, das Fleisch wird auch durch längeres Lagern ab jetzt nicht mehr zarter. Längere Reifezeiten dienen damit nurmehr der Aromenbildung und der Geschmacksintensivierung.
Das Dry Aging
Das Dry Aging beginnt mit der 2. Phase der Fleischreifung. Anstatt wie heute üblich das Fleisch im Vakuum einzuschweißen und es dort, sozusagen im eigenen Saft, weiter reifen zu lassen („Wet Aging“), lässt man beim Dry Aging das Fleisch am Knochen unter kontrollierten Bedingungen an der Luft reifen. Damit bedient man sich praktisch der uralten Technik des Abhängens von Fleisch.
Beim Dry Aging lässt man das Fleisch bei Temperaturen zwischen 1° und maximal 3°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von etwa 80% weiter reifen. Diese Umgebungsbedingungen sind wichtig fürs Dry Aging: Kältere Temperaturen lassen die Feuchtigkeit im Fleisch gefrieren und die Enzymtätigkeit wird eingestellt, wärmere Temperaturen steigern die Gefahr, dass das Fleisch verdirbt. Die hohe Luftfeuchtigkeit sorgt dafür, dass das Fleisch nicht zu schnell austrocknet und sich am äußeren Rand eine undurchdringliche Kruste bildet, die weitere Verdunstung verhindert. Um diese idealen Umgebungsbedingungen zu gewährleisten, benötigt man einen Dry Aged Reifeschrank. Diese gibt es sowohl für den professionellen als auch für den privaten Einsatz.
Enzyme, Oxidation und Feuchtigkeitsverlust
Beim Dry Aging sorgen die weiterhin aktiven Enzyme mit der Zeit für eine weitere Steigerung und Intensivierung des Geschmacks und des Aromas. Das Fleisch bildet einen besonders würzigen Geschmack. Verantwortlich dafür ist u.a. Mononatriumglutamat, ein natürlicher Geschmacksverstärker und das Vorbild für das künstlich produzierte und bei vielen Fertiggerichten eingesetzte Glutamat. Es sorgt für einen kräftigen „Umami“-Geschmack im Fleisch.
Gleichzeitig oxidiert das Fett des Fleisches. Das oxidierte Fett, das sich sowohl im Muskel (intramuskulär) selbst als auch im Fettrand befindet, sorgt für den typischen nussig-buttrigen Geschmack von Dry Aged Beef. Das Fett ist also ein wichtiger Bestandteil des Prozesses. Deswegen sollte man gut durchwachsenes Fleisch mit einem ausreichenden Fettrand zum Trockenreifen verwenden.
Schließlich verliert das Fleisch durch natürliche Verdunstung auch noch einen Teil seiner Feuchtigkeit, was den Geschmack des fertig gereiften Fleisches zusätzlich konzentriert und intensiviert.
Durch Oxidation und Wasserverdampfung entsteht bei der Dry Aged Fleischreifung eine Kruste auf der Fleischoberfläche. Dabei zieht sich durch die Austrocknung der äußeren Fleischschichten das äußere Gewebe stark zusammen und bildet somit eine Art natürlichen Schutzmantel für das Innere des Fleisches. Diese Reifekruste sorgt einerseits dafür, dass das Fleisch im Inneren vor schädlichen Mikroorganismen geschützt ist und die Enzyme und Proteine ungestört wirken können, andererseits verhindert sie jedoch auch, dass das Fleisch zu sehr austrocknet. Auf der Reifekruste lann sich außerdem eine leichte Schimmelschicht bilden, wie man sie z.B. auch von Edelsalami oder Schimmelkäse wie Camembert oder Brie kennt. Dies ist kein Zeichen des Verderbs. Im Gegenteil: Die Schimmelsporen unterstützen die Enzyme im Inneren des Fleisches und helfen dabei, Geschmack und Aroma zu steigern. Außerdem bilden sie eine weitere natürlich Abwehrschicht gegen das Eindringen schädlicher Mikroben von außen.
Diese Reifekruste ist außen sehr trocken und fast schwarz. Ihr Fleisch und Fett war über mehrere Wochen ohne Schutz direkt der äußeren Umgebung ausgesetzt und ist hygienisch alles andere als einwandfrei. Sie und das Fleisch und Fett, das unmittelbar darunter liegt, sollte unbedingt entsorgt werden. Es kann maximal noch als Hundefutter dienen.
Das Fleisch und Fett dagegen, das beim Zuschneiden und Portionieren von Steaks anfällt, ist zu schade zum Wegschmeißen. Die Abschnitte sind sehr geschmackvoll und aromatisch. Das schiere Fleisch dieser Abschnitte kann man gut durch den Fleischwolf drehen und sie unter Hackfleisch mischen um daraus bspw. besonders aromatische Burgerpatties zu machen. Das abgeschnittene Fett verleiht Rinderbrühen ein besonderes Aroma.
Wie lange dauert Dry Aging?
Typischen Reifezeiten für Dry Aged Beef betragen etwa 4-6 Wochen. Wenn die Reifeparameter von Temperatur und Luftfeuchtigkeit eingehalten werden sind auch deutlich längere Reifezeiten von mehr als 6 Monaten möglich. Dabei intensiviert sich der Geschmack immer mehr, bis er schließlich nur noch von echten Dry-Aged-Connaisseuren gewürdigt wird. Auch der Trockenrand bzw. die Reifekruste wird immer dicker, so dass immer größere Stücke abgeschnitten werden müssen.